Deutsche Schicksale in Ungarn

Historischer Überblick
Lebensumstände in den Lagern

Historischer Überblick und deutsche Schicksale in Ungarn

Ungarn hatte nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel seines ethnisch sehr gemischten Territoriums verloren – mehr als jedes Land andere Europas. Mit dem Vertrag von Trianon 1920 musste es diese Verluste besiegeln. Profitiert haben davon Ungarns Nachbarn: die neuen Staaten Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien. Das langjährige autoritäre Staatsoberhaupt von Ungarn, Admiral Miklós Horthy verbündete sich in den 1930er Jahren mit dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien an, um Trianon zu revidieren.

Es gelang der ungarischen Führung mit deutscher Hilfe, 1938 und 1940 Gebiete der Slowakei und Rumäniens erneut an Ungarn anzugliedern. 1941 trat Ungarn auf der Seite Deutschlands in den Krieg gegen Jugoslawien und gegen die Sowjetunion ein. Aufgrund von Gerüchten über eine geplante Kapitulation besetzte Deutschland am 19. März 1944 Ungarn. Staatsoberhaupt Admiral Miklòs Horty versuchte am 15. Oktober1944 einen Separatfrieden mit der Sowjetunion zu schließen, was misslang. Die Pfeilkreuzler übernahmen die Macht. Im April 1945 verließen die letzten Wehrmachtsverbände Ungarn, die Rote Armee besetzte das ganze Land.

Im Waffenstillstandsabkommen vom 20. Oktober 1945 musste Ungarn sich einer alliierten Kontrollkommission unter Vorsitz der Sowjetunion unterstellen. Das Abkommen verpflichtete Ungarn zur aktiven Mithilfe bei der Verfolgung, Verhaftung und Verurteilung von Kriegsverbrechern und NS-Funktionsträgern. Alle Organisationen der Ungarndeutschen waren aufzulösen. Die Ungarndeutschen gerieten unter Generalverdacht, Hitlers Politik unterstützt zu haben.

Die Volkszählung in Ungarn 1941 ergab eine deutschsprachige Bevölkerung von rund 490.000 Personen, davon rund 300.000, die sich zur deutschen Nationalität bekannten. Mit der bei Kriegsende aus Ungarn zurückweichenden Wehrmacht verließen etwa 50.000 Ungarndeutsche das Land. Nach Beendigung der Kampfhandlungen kehrte eine unbekannte, aber erhebliche Zahl davon in ihre Heimatorte zurück.
Noch während des Krieges ordnete die ungarische Interimsregierung im Rahmen der Bodenreform die Enteignung des landwirtschaftlichen Besitzes, einschließlich der Wohngebäude und des Inventars der deutschstämmigen Bevölkerung an.

Auf der Potsdamer Konferenz 1945 erreichte Ungarn wie Polen und die Tschechoslowakei die Einwilligung der Siegermächte zur Zwangsumsiedlung der im Land lebenden Deutschen. Zwischen 1945 und 1948 sollen 200.000 bis 220.000 Ungarndeutsche von der ungarischen Regierung in die amerikanische und die sowjetische Besatzungszone vertrieben worden sein. Die Zwangsumsiedlungen wurden im Oktober 1949 gestoppt, nicht zuletzt weil man auf die Fachkräfte nicht verzichten wollte. So durften schätzungsweise 200.000 bis 250.000 Ungarndeutsche bleiben. Viele sprachen ungarisch ebenso gut wie deutsch und hatten ihre deutschen Familiennamen ins Ungarische übersetzt.

Da die Sowjetunion Ungarn als besetztes Feindesland betrachtete, wurden rund 600.000 Menschen aus Ungarn in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert, darunter bis zu 35.000 deutsche Zivilisten und Kriegsgefangene.

Die Verschleppungen der Deutschen begannen im Januar 1945. Sie wurden u.a. in die Regionen am Don und in den Ural transportiert, dort mussten sie in Wäldern und Bergwerken arbeiten. Etwa ein Fünftel von ihnen kam aufgrund der schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu Tode.

Standorte der bekanntesten Nachkriegslager für Deutsche

Deutsche in Ungarn 1941

Nach der amtlichen Volkszählung in Ungarn bekannten sich:
490.449 Personen zur deutschen Muttersprache
303.419 Personen zur deutschen Nationalität
600.000 Ungarndeutsche also in etwa geschätzt

Unter Berücksichtigung von Ungenauigkeiten bei dieser Volkszählung gehen seriöse Schätzungen von insgesamt etwa 600.000 Ungarndeutschen für das Jahr 1941 aus. Diese höhere Zahl basiert auf der  Annahme, dass zahlreiche Ungarndeutschen sich nicht als solche definieren wollten, da sie zweisprachig waren und sich kulturell weitgehend ungarisch assimiliert hatten.

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Das Schicksal der Deutschen in Ungarn, Augsburg 1994.

Theresia Lang, aus Zanegg/Mosonszolnok:

"Ich war 16 Jahre alt. Ich wurde in der Nacht erwachsen."

Aus: www.svabkitelepites.hu/svab021490.html

 

Hans Volks aus Maisch/Majós berichtet:

"Meine Eltern und Großeltern schlossen zur Sicherheit alle Türen ab. Man wusste ja nicht, ob wir nicht doch bald zurückkommen. (...)
Als wir zum Wagen gingen, sahen wir mit Entsetzen ein paar Gestalten mit Brecheisen in den Händen auf unser Haus zukommen.
Mit geübten Griffen wurden die gut verschlossenen Türen aufgebrochen. Mit hämischem Grinsen und hastigen Bewegungen sah man die Gier nach dem Besitz meiner Familie deutlich in ihrem Gesicht geschrieben. Wir mussten mit traurigem Herzen und wehrlos mit ansehen, wie unser zurückgelassener Hausrat weggetragen und unsere restlichen Tiere abgeführt wurden. Da erst wurde in meinem kindlichen Urteilsvermögen die ganze Tragweite dieses brutalen Unrechts bewusst."

Aus: www.svabkitelepites.hu/svab021490.html

Teréz Kammerer erinnert sich:

"Ihnen wurde der Sinn ihres Lebens entrissen: das Haus, das Grundstück, was sie mit der Arbeit ihres Lebens aufgebaut hatten.
Bei den Vertreibungen waren wohl viele deshalb apathisch, da man ihnen nur noch die Heimat nehmen konnte."

Aus: www.svabkitelepites.hu/svab021490.html

W. M. Mőzs erinnert sich:

"Wir rechneten eigentlich nicht damit, dass man uns aussiedelt. Einerseits weil mein Vater ungarischer Soldat war, andererseits standen wir nicht auf der Liste.
Viele versteckten sich, deshalb kamen auch wir an die Reihe.
Ich wurde mit meiner Mutter ausgesiedelt. Mein Vater war währenddessen als Kriegsgefangener in Sibirien. (...) Die Soldaten brachten uns nach Pirna. In Deutschland wurden wir ungarische Zigeuner genannt."

Aus: www.svabkitelepites.hu/svab021490.html

Andrásné Schilling, geb. Herold Teréz aus Bogdan/Dunabogdány berichtet:

"Ich war zwanzig Jahre alt, ein junges Mädchen, noch dazu eine Braut. Meine Mutter waren zu siebt Geschwister, sie wurden mit einer Ausnahme alle ausgesiedelt. Aussiedlung? Die Deutschen sagten selbst, hier war keine Rede über eine Aussiedlung. Die Aussiedlung erfolgt nämlich aufgrund eines Vertrages: aufgrund des Einvernehmens der zwei Parteien, der empfangenden und der aussiedelnden. Das war schlicht eine Deportierung: Man hat Leute gegen ihren Willen verschleppt, Länder gezwungen, Leute auszusiedeln bzw. aufzunehmen."

Aus: www.svabkitelepites.hu/svab021490.html

 

Eva Mayer erinnert sich an die Verschleppung nach Russland:

"Es war davon die Rede, dass wir zu einer Zwei-Wochen-Arbeit in die Batschka müssten. Hier wusste es jeder so, dass wir Kukuruz brechen gehen, und man sagte uns auch, dass wir für zwei Wochen Essen und warme Kleidung mitnehmen sollen. (...) In der Gemeinde Bonnya im Komitat Somogy haben die Vorsteher des Dorfes in der Nacht zum 16. Januar 1945 die deutschen Jugendlichen registriert. Sie haben gesagt, dass man zu einer zweiwöchigen Arbeit gehen muss, und sie teilten uns schriftlich mit, dass wir zwei Garnituren Unterwäsche, zwei Garnituren Oberkleidung, eine Decke, Betttuch, Kissen, einen Strohsack und Essen für zwei Wochen mitnehmen sollten. (...) Auf dem Bahnhof warteten schon die Waggons, die Fenster waren mit Draht vergittert.(...) In der Gemeinde Mérk (Komitat Szatmár) haben die ungarischen Polizisten am 3. Januar 1945, am Morgen an die Tür fast aller schwäbischen, drei griechischer und zwei reformierter ungarischer Familien geklopft. Sie haben namentlich alle Familienmitglieder zwischen 17 und 45 Jahren aufgezählt, die am anderen Morgen um 8.00 Uhr in der Schule erscheinen sollten, weil man Salz und Schuhe verteilen wollte. Wir sind ahnungslos hingegangen, und bis wir es gemerkt haben, umzingelten die Soldaten mit ihren Bajonetten und Gewehren das Gebäude. Wir sind noch am gleichen Tag in die Kaserne von Mérk begleitet worden. Aus der Reihe treten oder sich der Reihe nähern durfte man nicht, aber weil manche doch versucht haben, ein Päckchen zu übergeben, hat das der Kavallerist zertrampelt.
Als wir ankamen, hatten alle Läuse und manche auch die Krätze. Beklemmend und voller Furcht sind wir ausgestiegen, wir beteten in unserem Inneren zu Gott und baten ihn, uns hier nicht sterben zu lassen! Unsere Angst ist nur noch größer geworden, als wir die mit Abzeichen und Auszeichnungen behangenen sowjetischen Offiziere gesehen haben, die in einer Sprache zu uns geredet haben, welche uns ganz unbekannt war. Jetzt weiß ich‘s schon, weil ich es auf der Karte gesehen habe, dass sie uns in das Industriegebiet beim Donez gebracht haben:
die Frauen nach Konstantinowka, die Männer aus Merk nach Nikitowka. Wir haben weinend gefragt, was unsere Sünde wäre, warum wir hier seien? Der Direktor sagte folgendes: die Deutschen haben die Gebäude und die Fabriken zerstört und ihr werdet sie wieder aufbauen!
Sie haben uns in eine von allen Seiten offene Garage getrieben, dann haben wir uns in einer Grube geduscht, das war die Desinfizierung. Unsere Kleider haben sie in einen Kessel getan und durchgedämpft. Von hier aus sind wir ins Lager gegangen, das zweistöckig war und dessen zerbrochene Fensterscheiben an den Krieg erinnerten.
Hier haben 9.600 Sachsen und Schwaben gewohnt. Aus Mérk waren 270 da, es gab Familien aus denen 4-5 Personen verschleppt worden sind. Aus meiner Familie waren wir zu dritt, meine Schwester, mein Mann und ich."

Aus: Die Verschleppung ungarländischer Deutscher 1944/1945: Verband der Ungardeutschen. Budapest 1990.

Lebensumstände in den Lagern und Zwangsarbeit

In den Gebieten, in denen viele Deutsche lebten, richtete die ungarische Regierung nach Kriegsende verschiedene Dörfer als Sammel- und Internierungslager ein. Dazu gehörten unter anderem die große deutsche Sprachinsel „Schwäbische Türkei“ im Umkreis der südungarischen Stadt Fünfkirchen/Pécs, Budapest und das Ofner Bergland, das Schildgebirge und Bakony sowie Gebiete entlang der österreichischen Grenze im Umkreis der Städte Ödenburg/Sopron und Raab/Györ. Die Menschen mussten in den Lagern bis zu einem Jahr verbringen, ehe die Zwangsumsiedlung in die westlichen Besatzungszonen oder in die SBZ erfolgte.

Das Gesetz zur Vertreibung der Ungarndeutschen wurde fünf Monate nach der Potsdamer Konferenz im Dezember 1945 in Kraft gesetzt. Das Vermögen wurde beschlagnahmt und die Menschen enteignet. Eine von der ungarischen Regierung gesteuerte Pressekampagne setzte Ungarndeutschtum mit Landesverrat und Nationalsozialismus gleich. Ab dem 19. Januar 1946 erfolgte die geregelte Zwangsaussiedlung. Sie begann mit der Gemeinde Wudersch/Budaörs am westlichen Stadtrand von Budapest. Bis Sommer 1948 hatten rund 220.000 Ungarndeutsche ihre Heimat verlassen, die Mehrheit gelangte in die amerikanische Zone Deutschlands, etwa 50.000 in die sowjetische Zone.

Etwa die Hälfte der Ungarndeutschen durfte im Land bleiben, besaß aber nur eingeschränkte Bürgerrechte. So wurden noch 1950 mehr als 1.000 Ungarndeutsche zur Zwangsarbeit in Lager bei Tiszalök und Kazincbarcika interniert. Sie mussten ein Wasserkraftwerk an der Theiß und ein Chemiewerk errichten und hatten keinen Kontakt zu ihren Angehörigen. Im August 1953 zeichnete sich eine Besserung der Lagerbedingungen ab. Doch am 4. Oktober 1953 beantwortete die Lagerleitung eine friedliche Kundgebung der Inhaftierten mit einem Schießbefehl. Fünf Gefangene wurden getötet, zahlreiche andere verletzt. Im November 1953 erlangten die ersten Häftlinge die Freiheit, die letzten wurden 1955 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen.

Tiszalök, das Lager, in dem Ungarndeutsche interniert waren, um ein Wasserkraftwerk zu bauen. © Zeichnung: Heinz Schulz

Isvtán Lovas, der Pfarrer des Dorfes Wetsch an der Donau, schreibt in der Gemeindechronik über die Deutschen:

"Am 29. Dezember 1944 wurden die Männer im Alter von 17-45 und die Frauen von 18-30 Jahren zur Wiedergutmachungsarbeit verschleppt. Die Verfügung ging 152 Personen an, aber viele von diesen flohen zurück. So wurden 118 Personen in Ceglébercel einwaggoniert. Wir wissen von ihnen so viel, dass sie nach Osten transportiert wurden."

Aus: www.sulinet.hu/oroksegtar/data/magyarorszagi_nemzetisegek/nemetek/szigetbecse/die_geschichte_der_kulturellen/pages/004_die_vertreibung_der_ungarndeutschen.htm

 

Pfarrer István Lovas schreibt:

"10-12 Personen von den Gläubigen, die zur Zwangsarbeit transportiert wurden, kamen am 30. April 1946 mit der traurigen Nachricht nach Hause: bisher starben 25 Personen – 22 Männer und 3 Frauen. Sie waren auf der Krim-Halbinsel. Sie arbeiteten – sowohl die Männer als auch die Frauen – im Kohlebergwerk Novidombas. Im Dorf war die Freude sehr groß wegen der Zurückkehrenden, aber die Traurigkeit und die Trauer war noch größer wegen der vielen Toten."

Aus: www.sulinet.hu/oroksegtar/data/magyarorszagi_nemzetisegek/nemetek/szigetbecse/die_geschichte_der_kulturellen/pages/004_die_vertreibung_der_ungarndeutschen.htm