Schicksale in der SBZ/DDR

Deutsche aus der SBZ/DDR im GULag

Verurteilungen und Vollstreckungen

Deutsche aus der SBZ/DDR im GULag

Von 1945 bis 1953 wurden Deutsche, vorwiegend aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR, von der sowjetischen Militärjustiz verhaftet, verhört, angeklagt und auf der Grundlage erzwungener Geständnisse oder Beschuldigungen Dritter zu Straflagerhaft oder zum Tode verurteilt. Ziel der Sowjets war es, in ihrem Einflussbereich, der SBZ, einen Staat mit kommunistischen Gesellschaftsordnung zu etablieren. Dem folgend, sollten Gegner des Regimes mundtot oder beseitigt werden.

Die Anklagen stützten sich ausschließlich auf das sowjetische Strafrecht und den dort verankerten § 58 des Russischen Strafgesetzesbuches. Die Anklagepunkte lauteten „Spionage“ oder „konterrevolutionäres Verbrechen“ oder „Machenschaften mit dem Ziel, die Sowjetunion zu zerstören oder zu schwächen“. Unter diese pauschalen Tatbestände konnte jedes Verhalten subsumiert werden, das dem Ziel der Verurteilung diente. Das Fernurteil aus Moskau und das Strafmaß waren ohne jede Frage Unrecht.

Die Betroffenen wurden oft auf der Straße aufgegriffen, einbestellt oder zu Hause abgeholt. Auch der Staatssicherheitsdienst der DDR führte Personen der sowjetischen Militärjustiz zu. Sie kamen in Untersuchungshaft und in verschiedene Gefängnisse in der SBZ, in denen sie von den russischen Militärangehörigen verhört und misshandelt wurden, bis sie ein vorformuliertes, erzwungenes Geständniss unterzeichneten. Oft wussten die Angehörigen nichts vom Schicksal, das ihnen widerfuhr.

Etwa 35.000 Zivilisten sind auf diese Weise der sowjetischen Strafjustiz zum Opfer gefallen. Etwa 1.000 Personen wurden zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen.

SBZ

Die Abkürzung SBZ bedeutet: Sowjetische Besatzungszone. Sie war die Bezeichnung für die östliche der vier Besatzungszonen, in die Deutschland 1945 entsprechend der Konferenz von Jalta von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges aufgeteilt wurde. Zur SBZ gehörte das Gebiet der heutigen Bundesländer Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie der Ostteil Berlins. Am 7. Oktober 1949 wurde die SBZ zum Staatsgebiet der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 3. Oktober 1990 kam es zur Vereinigung beider deutscher Staaten.

Artikel 58

Der Artikel 58 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wurde am 25. Februar 1927 erlassen, mehrere Male revidiert und blieb bis 1959 in Kraft. Auf der Basis dieses Gesetzes verurteilten die Sowjetischen Strafbehörden innerhalb, aber auch außerhalb der Sowjetunion Personen, die dem Sowjetsystem kritisch gegenüberstanden. Nach der Verurteilung wurden die Betroffenen in die GULags der Sowjetunion gebracht. Aus der SBZ/DDR landeten viele im Lager Workuta am Polarmeer. Im Sprachgebrauch des GULag wurde der Strafparagraph kurz der „58er“ genannt.

Anneliese Fleck erinnert sich an ihre Verhaftung:

"Als ich in die Haftzelle kam, da hab’ ich gedacht, die haben alle irgendwas ausgefressen, bloss ich nicht, bei mir ist es ein Irrtum, der sich aufklären muss. Man hat sich nicht denken können, dass man ohne Schuld eingesperrt bleiben kann. Man hat doch nichts gemacht."

Aus: Fleck, Anneliese: Workuta überlebt, Eine Frau in Stalins Straflager. Herford 1994.

 

Joseph Scholmer reflektiert seine Lage in der Untersuchungshaft:

"Das Untersuchungssystem lässt nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: ich bestehe darauf, kein Spion zu sein, und investiere in diese Wahrheit die Reste meiner Gesundheit. Die Wahrscheinlichkeit, dabei zu krepieren, ist groß. Es ist mehr als zweifelhaft, ob ich die Torturen durchstehe, die andere ausgehalten haben: Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf, die Fußsohlen (bis man unfähig ist zu gehen) oder gegen die Hoden; Prügel mit einer Lederpeitsche; Schläge mit einer Eisenstange auf die Oberschenkel oder das Gesäß. Zur Erholung Fußtritte gegen die Schienbeine. (...)
Ich werde ohne Widerstand prinzipiell alles zugeben, was er haben will. (...)
‚Ich möchte Ihnen einen gut gemeinten Rat geben. (...) Sie bekommen in jedem Fall fünfundzwanzig Jahre, das ist sicher! (...) Geben Sie zu, dass Sie ein bisschen Spionage getrieben haben, pro forma sozusagen. Damit beenden Sie Ihre Untersuchung, und Ihr Fall wird abgeschlossen. Sie kommen in ein Lager, wo es besser ist als hier. Dort können Kameraden Ihnen helfen, hier nicht."

Aus: Scholmer, Joseph: Arzt in Workuta. München 1963...

 

Joseph Scholmer erinnert sich an seine Festnahme, Verhöre und seinen Prozess in Ost-Berlin:

"An einem Aprilnachmittag des Jahres 1949 erscheint in meiner Wohnung in Berlin-Mitte ein kleiner, dicker Russe mit fahlem, gedunsenem Gesicht in Begleitung einer Dolmetscherin. Die Dolmetscherin sagt zu mir: ‚Der Herr Offizier bittet, dass Sie kommen mit ihm zu einer Besprechung.´ ‚Wohin?´ frage ich. ‚Zur Kommandantur!´ Ich ziehe meinen Mantel an und nehme den Hut. Wir steigen die Treppe herunter. Er lässt mich vorangehen. Mir fällt ein: auch die Gestapo ließ mich vorangehen, als sie mich verhaftete. (...)
Die beiden vernehmenden Offiziere sitzen im Halbdunkel, einer ist in Uniform, mit den Schulterstücken eines Oberstleutnants. Er bietet mir eine Zigarette an. (...) ‚Sie waren Agent der Gestapo, des amerikanischen und englischen Geheimdienstes.‘ Niemals in meinem Leben hörte ich so viel Unsinn in einem Satz. Als ich mich von der ersten Überraschung erholt habe, antworte ich: ‚Ich war weder Agent der Gestapo, noch des amerikanischen, noch des englischen Geheimdienstes.‘
Der Oberstleutnant sagt: ‚Wir haben zuverlässige Informationen darüber, dass Sie für die westlichen Geheimdienste als Spion tätig waren.´ (...)
‚Dann legen Sie doch Ihr Beweismaterial auf den Tisch! Als ich Gefangener der Gestapo war, hat die Gestapo das auch getan.´ Der junge Mann verliert seine Beherrschung. Er springt auf:
‚Wie kommen Sie dazu, uns mit der Gestapo zu vergleichen? Die Gestapo war eine verbrecherische Organisation. Für diese Frechheit werden wir Sie so lange in unseren Kellern einsperren, bis Sie verfault sind."

Aus: Scholmer, Joseph: Arzt in Workuta. München 1963.

Günter Albrecht erzählt:

" Nachdem ich einem Dolmetscher gesagt hatte, dass ich unschuldig sei und weiter nichts getan hätte, als meine Meinung zu sagen, erklärte er mir Folgendes:
‚Kennst du Honig?‘
‚Ja.‘
‚Stell dir einen großen Kessel mit Honig vor – 100 kg.‘
‚Ja.‘
‚Kennst du Scheiße?‘
‚Ja.‘
‚Nimm einen Teelöffel voll Scheiße, schmeiß diese in den Honig und verrühre sie gut. Was ist dann?‘
‚Dann ist der Honig verdorben.‘
‚Ja, genau das. Dieser Löffel Scheiße, das bist du!‘
Er wollte mir erklären, dass ein Mann, der eine andere Meinung vertritt, ein ganzes Volk verderben bzw. aufwiegeln kann. Also muss er verschwinden. Und genauso sind die Geheimdienste vorgegangen."

Aus: Albrecht, Günther: Biografisches. www.workuta.de
Quelle: Czernetzky, Günter/Donga-Sylvester, Eva/Toma, Hildegard. Ihr verreckt hier bei ehrlicher Arbeit! Deutsche im Gulag 1936–1956, Anthologie des Erinnerns, Graz/Stuttgart (L. Stocker) 2000

Verurteilungen und Vollstreckungen

Deutsche aus der SBZ/DDR im GULag

Weder wurden die Verurteilten informiert, wo sie ihre Strafe zu verbüßen hatten noch wurden Angehörige über ihren Verbleib in Kenntnis gesetzt. Einerseits wollte die sowjetische Führung mit den Verurteilungen angebliche oder tatsächliche Regimegegner in der SBZ/DDR mundtot machen, andererseits waren die Opfer willkommener Nachschub für das GULag-Netz. Bei den Verurteilen handelte es sich meistens um junge Männer, die zu körperlicher Schwerstarbeit in der Lage waren, aber auch um junge Frauen.

Die deutschen Verurteilten gelangten in einer Zeitspanne Ende der 1940er und Anfang der1950er Jahre in den GULag. Die meisten wurden in den Workuta-Lager-Komplex verbannt und mussten dort, wie die unzähligen anderen Häftlinge, schwerste Arbeiten verrichten.

Viele Häftlinge erlangten ihre Freiheit in der Zeitspanne zwischen dem Tod Stalins 1953 und der Moskau-Reise von Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955, viele unmittelbar danach. Die meisten Haftentlassenen blieben auf Grund ihrer Erfahrungen mit der Sowjetunion nicht in der DDR, sondern siedelten in die Bundesrepublik über.

Quelle: www.workuta.de
(Russisches Sprichwort)

Theodor Desens beschreibt seine Verurteilung:

"Ich wurde am 25. Juni 1951 mit neun Männern ohne jede Möglichkeit der Verteidigung verurteilt. Die Urteile lauteten viermal Tod und viermal 25 Jahre und zweimal 10 Jahre Zwangsarbeit, Verbüßung in der Sowjetunion. Unsere Verbrechen: Besitz von westlichen Zeitungen, antisowjetischer Propaganda und Ablehnung der Kollektivierung. Die ganze Gerichtsverhandlung dauerte ca. 20 Minuten.
Als die Zellentür hinter mir zufiel, brach ich fast zusammen.
Ich war 21 Jahre! Plus 25 Jahre waren 46, mein Gott, wofür?"

Aus: Desens, Theordor: Biografisches. www.workuta.de

 

Der Prozess gegen Horst Bienek wurde im Frühjahr 1952 in Potsdam geführt:

"Plötzlich, in der Nacht, wurde mit dem Schlüssel gegen meine Tür gescheppert. Dawei,dawei, schrie der Wächter, während er mit lautem Geräusch den Riegel an der Tür zurückschob. Um diese Zeit konnte es nur zum Verhör gehen. Denn die Verhöre wurden immer und bei allen des Nachts geführt. (...)
Ich musste auf einem wackligen Stuhl Platz nehmen. Ich war auf der einen Seite. Auf der anderen Seite der Verhörbeamte. Es war ein höherer Offizier, jedenfalls hatte ich noch keinen mit so vielen Aufschlägen am Kragen und mit so viel Orden an der Brust gesehen. Der Schreibtisch war mit rotem Tuch bezogen, und der Beamte saß da, stämmig, breitschultrig, seine Gesichtszüge waren weich und schwabbelig, sie schienen zu zerfließen. Hinter ihm hing ein großes Stalinbild (...) Dann ging es wieder los. Zum ersten Mal sprach der Verhörbeamte mit mir, und zu meiner Verwunderung in einem sehr guten Deutsch.
‚Erzählen Sie, wie oft waren Sie bei der CIA?‘ (...)
Eines Tages kam ich in die Frisörstube, mir wurden die Haare geschnitten. Da wusste ich, ich komme hier nicht mehr raus: Das bedeutete: schuldig. (...)
Der Dolmetscher übersetzte. Er schrie mich einige Male an. ‚Warum du lügen vor Staatsanwalt?‘ schrie er. (...)
Aus Wut schlug er mir mit dem Blechlineal ins Gesicht. Er schlug mir dabei zwei Zähne raus. Es blutete furchtbar. Das Verhör wurde abgebrochen. (...)
Dann kam das Gericht zurück, ich musste aufstehen und mir das Urteil anhören. Paragraph 58-6: Spionage: zwanzig Jahre,Paragraph 58-10: Antisowjethetze: zehn Jahre, Paragraph 58-11: Bandenbildung – wird gestrichen, zusammengezogen auf 20 Jahre. Ich war wie versteinert. Ich weiß nicht, warum ich bis vor ein paar Sekunden noch geglaubt hatte, ich würde mit zehn, mit fünf Jahren davonkommen, vielleicht sogar freigesprochen werden."

Aus: Bienek, Horst: Workuta. Göttingen 2013.