Deutsche Schicksale in der Tschechoslowakei

Historischer Überblick
Lebensumstände in den Lagern

Historischer Überblick und deutsche Schicksale in der Tschechoslowakei

Die Tschechoslowakei war 1918, nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aus den Ländern Böhmen, Mähren, eines Teils von Schlesien, der Slowakei und zeitweise auch aus der Karpatenukraine entstanden. Rund 3,1 Millionen Deutsche lebten dort in der Vorkriegszeit. Durch das Münchner Abkommen 1938 war das Sudetenland, die überwiegend von Deutschen besiedelten Randgebiete der Tschechoslowakei, dem Deutschen Reich zugesprochen worden. Die Tschechoslowakei war an den vorausgegangenen Verhandlungen zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien nicht beteiligt. Im März 1939 besetzte das nationalsozialistische Deutschland den tschechischen Rumpfstaat. Unter dem Namen „Protektorat Böhmen und Mähren“ wurden das Land und seine Bevölkerung vom NS-Staat ausgebeutet, Widerstand wurde blutig unterdrückt. Als Waffenschmiede spielte das hoch industrialisierte Land für Hitlers Kriegsführung eine wichtige Rolle. Betriebe der Rüstungsindustrie beschäftigten neben Einheimischen auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus vielen Ländern. Für deren Unterkunft wurden meist Barackenlager in der Nähe der Fabriken errichtet.

Die Slowakei wurde 1939 unabhängig und die Regierung kolaborierte mit den Deutschen. Sie beteiligte sich am Angriff auf Polen 1939 und am Überfall auf die Sowjetunion 1941. Mit dem Vormarsch der Roten Armee kam es im August 1944 zum Aufstand der Slowaken gegen Nazi-Deutschland. Dieser wurde niedergeschlagen und das Land von der Wehrmacht besetzt. Die Rote Armee eroberte die Slowakei von Osten nach Westen. Am 4. April 1945 fiel als letztes die Hauptstadt Preßburg/Bratislava.

Die Slowakei wurde wieder dem tschechischen Landesteil angegliedert und blieb es bis 1992, als sie erneut unabhängig wurde. Die Karpato-Ukraine wurde von Stalin annektiert. Sie ist bis heute Teil der Ukraine.
Die Vertreibung der etwa drei Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei hatte der im Londoner Exil lebende tschechoslowakische Staatspräsident Edvard Beneš bereits während des Krieges mit den Siegermächten Großbritannien, USA und Sowjetunion abgestimmt. Beneš war nach dem Münchner Abkommen zurückgetreten und lebte zunächst in England. 1940 gründete er eine Exilregierung und wurde von Großbritannien, den USA und der Sowjetunion als Staatspräsidenten der Tschechoslowakei anerkannt.

Nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 9. Mai 1945 begannen die wilden Vertreibungen der Sudetendeutschen. Rache- und Vergeltungsakte begleiteten die Menschen auf ihren Fußmärschen und Transporten zu den Grenzen nach Deutschland und Österreich Der von den Alliierten geduldeten Vertreibung der Sudetendeutschen gingen die völlige Entrechtung und Enteignung voraus. Ähnlich erging es den Karpatendeutschen in der Slowakei. Auch diese waren von den Entrechtungs- und Vertreibungsbeschlüssen der neuen Regierungen betroffen, dem Hass und Vergeltungsbedürfnis von Tschechen und Slowaken und deren Behörden ausgeliefert.

Staatsangehörigkeit der Sudetendeutschen

Die Sudetendeutschen waren einst Staatsbürger der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und als dieselbe 1918 zerfiel, wurden sie Staatsbürger der neu gegründeten Tschechoslowakei. Durch das Münchner Abkommen und einen dazu geschlossenen Staatsangehörigkeitsvertrag wurden die meisten Sudetendeutschen Staatsangehörige des Deutschen Reiches. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ihnen die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit formal durch Gesetz aberkannt und das Münchner Abkommen als völkerrechtswidrig bewertet.

Wilde Vertreibungen

Als „wilde Vertreibungen“ werden Deportationen von Deutschen aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn bezeichnet, die unmittelbar nach Kriegsende stattfanden. Mit diesem Begriff unterscheiden Historiker zwischen den Vertreibungsakten, die vor der Potsdamer Konferenz stattfanden und denen danach. Auf der Konferenz, die von 17. Juli bis 2. August 1945 stattfand, beschlossen die drei Siegermächte Großbritannien, USA und Sowjetunion die Zwangsumsiedlung der in den genannten Ländern lebenden Deutschen in „ordnungsgemäßer und humaner“ Weise. In der Geschichtswissenschaft besteht heute darin weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich hierbei um eine bloße Absichtserklärung handelte. Viele Historiker weisen darauf hin, dass die „wilden“ Vertreibungen keinesfalls nur spontan dem Volkszorn entsprangen, sondern vielerorts durch lokale und regionale Behörden vorbereitet und gesteuert wurden.

Der Kaufmann E. M. aus Saaz berichtet:

"Wir kamen am 6.6. 1945 mit etwa 800-1.000 Kameraden, darunter auch 13-jährige, in das Arbeitslager Nr. 28, Oberleutensdorf bei Brüx. Das Lager beherbergte früher Fremdarbeiter für das Hydrierwerk in Brüx. Als wir die Autobusse verließen und in das Lager einmarschierten, hagelten Schläge mit Gewehrkolben, Peitschen und Gummikabel auf uns nieder. Wir waren starr vor Schreck. Warum das alles? Was hatten wir verbrochen? Wir haben Deutsche, und das genügte!
So gingen wir durch das Tor des Lagers 28, das ungezählte Kameraden nur mehr als Tote verlassen sollten. ‚Bis der Kistendeckel auf der Nase drückt‘, wie uns gleich bei der Abnahme unserer Kleidung, die wir nie mehr wiedersahen, angekündigt wurde. Wir erhielten Sträflingskleidung; als diese nicht mehr ausreichte, wurden die Anzüge mit gelber Ölfarbe beschmiert. (...)
In unserem Lager befanden sich jetzt etwa 1.500 Mann aus Saaz, Brüx und Umgebung, auch einige Komotauer. Unser Lager wurde zu einer traurigen Berühmtheit, so wollte es der Ehrgeiz des Kommandanten Vlasak. Es herrschte ein System der Vernichtung durch Arbeit, Hunger und Mord. (...)
Ohne besonderen Anlass wurden die Menschen schwerstens misshandelt. Ein alter Mann aus Brüx, wegen seines langen Bartes von uns ‚Nikolaus‘ oder ‚Vater Jahn‘ genannt, erhielt von einem Tschechen ahnungslos einen so heftigen Schlag ins Gesicht, dass er taumelte. Dann wurde ihm der Bart abgeschnitten. Kurze Zeit später starb ‚unser Nikolaus‘. (...)
Den Mannschaftsstand des Lagers kannte nicht einmal der Kommandant genau. Er war Herr über Leben und Tod von ca. 1.500 Deutschen. Kleinste Verfehlungen wurden manchmal mit Erschießen bestraft. So nahm ein Mann einmal ein Stückchen Leder aus dem Werk mit in das Lager, um seine Schuhe zu flicken. Bei einer der üblichen Leibesuntersuchung wurde es gefunden. Der Mann musste sich vor angetretener Mannschaft nackt ausziehen, auf einen Sandhaufen knien und wurde erschossen."

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

 

Der Dozent Korkisch aus Prag erinnert sich:

"Am nächsten Vormittag wurden wir von zwei Partisanen in unserer Wohnung abgeholt. (...)
Auf dem Weg ins Polizeigefängnis, in das wir geführt wurden, begleiteten uns die Schimpfworte des spalierbildenden Volkes, und ich erhielt noch einmal Ohrfeigen, diesmal ohne ersichtlichen Grund. Im Gefängnis wurden wir und unsere Handtaschen durchsucht. Als ich meine Brieftasche zurückerhielt, fehlten von 30.000 Kronen 10.000, in den Handtaschen die meisten Schmucksachen. (...)
In dem überfüllten Gefängnis verbrachten wir Tage und Nächte sitzend auf schmalen Bänken. Hier begann uns zum ersten Mal eine Ahnung aufzudämmern, was uns bevorstand. (...)
Am sechsten Tag mussten wir mit unserem Gepäck auf der Straße vor dem Gefängnis antreten. Niemand sagte uns, zu welchem Zweck. Wir marschierten zu einem Bahnhof. Dort wurden wir in Güterwagen verladen und die Türen wurden geschlossen, nachdem uns russische Soldaten die Uhren abgenommen hatten. (...)
Um sechs Uhr wurden die Türen geöffnet und wir auf freiem Feld ausgeladen. Wir kampierten auf einer Wiese, etwa 2.500 Menschen, zu zwei Dritteln Frauen und Kinder. Sechs Kilometer trugen wir unser Gepäck. Wer damit zu reichlich ausgestattet oder zu schwach war, warf einen Koffer nach dem andern weg. Als wir in Týnice bei Český Brod ankamen, waren die Unterschiede des Besitzes so ziemlich ausgeglichen. Týnice war unser Lager. Es wurde zuerst als Konzentrationslager, später als Arbeitslager, später als Internierungslager, später als Lager bezeichnet. In Wirklichkeit war es ein Vernichtungslager vom Anfang bis zum Ende, wenigstens so lange wir dort waren. Es war ein großer alter viergeschossiger Getreidespeicher, der zu einem Gutshof gehörte, ohne Beleuchtung und Beheizung, ohne Klosetts, ohne Waschgelegenheit, ohne Küche. Das sollten wir erst anlegen. Wir bauten eine Küchenbaracke, zwei Baracken für die ärztliche Betreuung und je eine Latrine für Männer und Frauen. Das einzige, was wir außer dem Bauholz und dem Material für Stacheldraht beigestellt wurde, war Stroh. Auf dem Stroh lagen wir wie Tiere, Tag und Nacht in unseren Kleidern, zugedeckt mit unseren Mänteln und Decken, wer welche hatte. Als ich nach sechs Monaten wieder auf einem Stuhl bei einem Tisch saß, kam ich mir sonderbar vor. (...)
Die dem Lager entnommenen Arbeitskräfte wohnten meist an ihren Arbeitsplätzen. Einige gingen täglich vom Lager zur Arbeit, auch mehrere Stunden weit. Niemand erhielt Bezahlung. Die Behandlung war meist schlecht. (...)
Nicht wenige haben die Überanstrengung mit dem Leben bezahlt. (...) Ein besonders trauriges Kapitel war ein erschreckend um sich greifender moralischer Verfall. Menschen, denen durch ein langes Leben gute Manieren angeboren zu sein schienen, streiften sie rasch und gründlich ab wie einen dünnen Firnis. Heftige und grobe Worte kamen leicht von den Lippen. Die Lagerdiebstähle wuchsen sich zu einer Katastrophe aus. Alles wurde gestohlen, weil alles Wert hatte."

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

Lager für Deutsche in der Tschechoslowakei

Auspitz/Hustopeče u Brna
Böhmisch Kamnitz/Česká Kamenice Böhmisch Leipa/Česká Lipa Bohnitz/Bohunice
Brünn/Brno
Brüx/Most
Budweis/České Budějovice Freistadt/Fryštát
Freudenthal/Bruntál
Friedek/Frýdek
Iglau/Jihlava
Jägerndorf/Krnov
Klattau/Klatovy
Komotau-Glashütte/Chomutov-Sklarska Maltheuern/Záluži
Neu-Hodolein/Nové Hodolany
Neu-Rohlau/Nová Role
Neu-Titschein/Nové Jičín
Oberleutensdorf/Litvinov
Olmütz/Olomouce
Pilsen/Plzeň
Prag/Praha-Hagibor
Rabstein/Rabstejn
Reichenau/Rychnov
Saaz/Žatec
St. Georgenthal/Jiřětín
St. Joachimsthal/Jáchymov
Schöbritz/Všebořice
Tachau/Tachov
Theresienstadt-Kleine Festung/Terezín-Malá pevnost Znaim/Znojmo
Zwittau/Svitavy

 

Quelle: Paleczek, Raimund: Verzeichnis der Internierungslager in der Tschechoslowakei im Oktober/November 1945, München. 2017.
Die Gesamtzahl der Lager für Deutsche in der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von bis zu 1.000 Lagern unterschiedlicher Größen und Bestimmungen aus. Die hier genannten Lager stellen eine beispielhafte Auswahl dar. In vielen dieser Lager waren vorübergehend bis zu 2.000 Personen untergebracht. Sie leisteten Zwangsarbeit in nahegelegenen Betrieben, in der Landwirtschaft oder beider Beseitigung von Kriegszerstörungen leisten. Die Inhaftierung in diesen Lagern dauerte unterschiedlich lang, manche dienten auch nur vorübergehend als Sammellager bis zur Vertreibung.

Kurt Schmidt aus Brünn berichtet über das im Mai 1945 im Strahov-Stadion in Prag eingerichtete Durchgangslager für Deutsche:

"Vor den Augen des ganzen Lagers fanden Hinrichtungen statt. Eines Tages hat man sechs junge Burschen so lange geschlagen, bis sie am Boden liegenblieben, dann mit Wasser begossen (dieses mussten deutsche Frauen holen) und dann weiter geschlagen, bis kein Lebenszeichen mehr zu sehen war. Die furchtbar zugerichteten Leichen wurden absichtlich tagelang neben den Latrinen zur Schau gestellt."

Aus: www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-9178845.html

Lebensumstände in den Lagern

Lager für Sudetendeutsche und Karpatendeutsche

Rechtsgrundlage für die Internierung von Deutschen in tschechoslowakischen Lagern war das „Große Retributionsdekret“ vom 19. Juni 1945 des tschechoslowakischen Präsidenten. Darin wurde die Errichtung von Lagern für Deutsche und Ungarn, die „irgendeine Verbindung zu den nazistischen Organisationen“ hatten, angekündigt.

Zur Umsetzung dieses Gesetzes wurden 24 Volksgerichte zur Strafverfolgung von NS-Verbrechern, Kollaborateuren und sogenannten Volksverrätern geschaffen. Parallel dazu entstanden zahlreiche Internierungslager für Deutsche, Ungarn und der Kollaboration verdächtigte Tschechen und Slowaken. Über die Anzahl der Lager, deren Insassen und der Todesfälle gehen die Angaben in der Literatur stark auseinander, da es keine zuverlässigen Quellen gibt. Das gilt insbesondere für Lager, die nur kurze Zeit Bestand hatten oder die als Nebenlager eines anderen Lagers nicht gesondert geführt wurden.

Die ersten Lager entstanden unmittelbar bei Kriegsende. Die Schätzungen von Historikern zur Zahl der deutschen Lagerinsassen in der Tschechoslowakei variieren zwischen 200.000 und 350.000. Im Großraum Prag wurden Ende Mai 1945 circa 25.000 Deutsche in 40 Lagern interniert. Nach individueller Schuld wurde nicht gefragt, die Maßnahme betraf traf die deutsche Bevölkerung als Kollektiv. In Prag wurden die Deutschen zunächst in Kinos, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden eingesperrt. Berüchtigt war das Stadion Strahov, damals eine der größten Sportstätten Europas. Hier wurden zwischen 10.000 und 15.000 Menschen festgehalten, Lagerinsassen willkürlich erschossen oder zu Tode geprügelt. Im heißen Sommer 1945 waren die Internierten ohne ausreichend Wasser der sengenden Sonne ausgeliefert. Es mangelte an Verpflegung und sanitären Anlagen.

Die tschechoslowakische Regierung ordnete zwei Zählungen von Lagern und Insassen in Böhmen und Mähren-Schlesien an. Die erste vom 18. August 1945 ergab 311 Lager mit 105.364 Internierten. Nach der zweiten Zählung vom 20. Oktober 1945 saßen 134.000 Personen in 271 Lagern ein. Beide Zählungen waren jedoch unvollständig, denn aus vielen Bezirken kamen keine Rückmeldungen.

Mit der Einweisung in Sammel- und Internierungslager unmittelbar nach Kriegsende ging es vielen Karpatendeutschen genau wie den Sudetendeutschen. Die größte Gruppe in der Slowakei stellten die Deutschen aus Preßburg/Bratislava, die mit 49.000 ein Drittel der Einwohnerschaft ausmachten. In Bratislava-Petržalka, deutsch Engerau, gab es ein großes Sammellager für Deutsche. Es wurde nach der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee am 4. April 1945 eingerichtet. Der slowakische kommunistische Politiker Gustáv Husák, der spätere Staatspräsident der Tschechoslowakei, soll im Juni 1945 erklärt haben: „Ich will deutsche Konzentrationslager sehen und keine deutschen Dörfer.“

Das Lager Engerau befand sich unmittelbar an der Grenze zu Österreich. Zuvor hatte es dort von November 1944 bis März 1945 ein NS-Lager für etwa 2.000 ungarische Juden gegeben, die in den Rüstungsbetrieben der Stadt Zwangsarbeit leisten mussten. Bis zu ihrer Vertreibung mussten auch inhaftierte Deutsche Zwangsarbeit leisten.

In Preßburg gab es zwei weitere Internierungslager: das Lager in der „Patronenfabrik“ und das Lager „Weinernstraße“. Berüchtigte Internierungslager befanden sich in Nováky und Krickerhau/Handlová, beide in der mittleren Slowakei.

Internierungslager für Deutsche, 1945
Internierungslager für Deutsche, 1945 @ Privatarchiv E.Vacek

Ludwig Klein aus Theusing berichtet über seine Internierung im Lager Kolin:

"Auch wir älteren Männer fuhren in offenen Waggons und landeten ebenfalls in ununterbrochem Regen, in den Morgenstunden des dritten Tages in Kolin und wurden vom Bahnhof weg, begleitet von den verächtlichen Blicken und höhnischen Zurufen der Bevölkerung, in das Arbeitslager geführt, wo wir noch am gleichen Tage mit der Arbeit beginnen mussten. Das Bargeld, das wir bei uns hatten, mussten wir sofort abliefern, mancher hatte ein kleines Vermögen bei sich, wehe, wenn einer etwas verheimlicht hätte. Wir bekamen nichts mehr zu sehen davon. So besaßen wir also keinen Pfennig, bekamen aber auch keinerlei Bezahlung für unsere Arbeit, die darin bestand, daß wir 72 Stundenin der Woche, sonntags bis 2.00 Uhr, mit Schaufel und Spitzhacke Aufräumungsarbeiten eines durch Bomben vollständig zerstörten großen, chemischen Werkes besorgen mussten.
Wir waren in diesem Lager circa 500-600 Mann aus Theusing, Petschau, Karlsbad, Joachimsthal, Platten, Rumburg und Warnsdorf, zumeist Kaufleute, Gewerbetreibende, Lehrer, Advokaten und Pensionisten usw., die nun die ungewohnte Arbeit verrichten sollten. Dafür gab es als Entgelt Hungerrationen, wir lernten hungern. Wie oft sah ich, dass junge Menschen, vom Hunger getrieben, aus den Abfalltonnen Kartoffelschalen heraussuchten und gierig verschlungen.“

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

 

Franz Leitermann aus Bistritz berichtet zum Lager Maltheuern:

"Wir waren in dem fast völlig zerbombten Kohlen-Hydrierwerk in Záluži (ehemals Hermann-Göring Werk in Maltheuern) tätig. Es waren sehr schwere Arbeiten zu verrichten, wozu wir in einer überaus rohen Weise angetrieben wurden. Zu diesem schweren Arbeiten gehörte Umschichten ganzer und gebrochener Maschinen und Bestandteile, sehr starke Eisenträger, Rohre usw., Verladen derselben auf Autos und Eisenbahnen, Aufgraben und Fortschaffen von Erde, Steinen, Ziegen, Bauschutt und anderen Materials, Schleppen und Verlegen von sehr dicken Kabeln, wobei wir in die mit teerigem und öligem Wasser gefüllten Gräben gestoßen wurden, Zudecken dieser Kabelgräben, Anlage von Werkskanälen, Entfernen der zähen Teermasse aus den zerstörten riesigen Rundbehältern (Teerbunkern), Wegschaffen des Teeres mittels Schiebtruhe über Treppen und Mischen mit: Kohlengrus, Freilegen der zerbombten Gas- und Teerbehälter, Neuaufbau solcher aus schweren Eisenplatten, Schleppen schwerer Balken und Bretterstöße auf den Schultern usw..“

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

Therese Reisser aus Einsiedl berichtet über die Gewalttätigkeiten des Kommandanten im Lager Auschowitz:

"Als wir am 2. September, einem Sonntag, von der Arbeit ins Lager kamen, stürzte sich der Kommandant Latke, von uns nur Tiger genannt auf unsere Arbeitsführerin Frau Lotz und schlug sie derart ins Gesicht, dass sie zusammenbrach. Dann mussten alle Männer, an die 400, antreten und wurden von dieser Bestie und zwei seiner Posten der Reihe nach niedergeschlagen. 50, 80 und über 100 Hiebe (je nachdem die Männer ihm zu Gesicht standen) mit einem armstarken Gummiknüttel, wo ein Draht durchgezogen war. (...)
In der Wachstube wurden sie fast erschlagen, mit Füßen hinaus gestoßen, ein großer Wolfshund auf sie losgelassen, sie konnten nicht mehr gehen, der Hund fiel sie wütend an. (...)
Dann mussten sie bis in die Nacht an der Wand stehen, wo sie immer wieder mit dem Kopf an die Wand gestoßen worden, dass das Gesicht eine Blutkruste war. Im Lagerhof waren große Löcher, wievielen Häftlingen wurde bei der Herumjägerei von den Posten das Bein gestellt, dass sie in die Löcher fallen mussten, dann trampelten sie mit den Füßen auf die Köpfe. Es ist unmöglich alles anzuführen, es gebe ein ganzes Buch."

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

Anita Graeser erinnert sich an das Lager Limbach:

"Dann wurden wir in die Hausordnung eingeweiht. Um 5.00 Uhr früh musste man aufstehen, um 5.30 Uhr war Frühstück-Ausgabe. Es gab schwarzen Kaffee ohne Zucker und ohne Milch und 50 g Brot. Um 6.00 Uhr ertönte zum zweiten Mal der Gongschlag und alle, die arbeiten konnten, mussten sich auf einen großen Platz versammeln. Junge Leute, soweit sie noch vorhanden waren, die Alten extra, noch arbeitsfähige Männer wieder separat, dann ebenso die älteren Frauen, die jüngeren Frauen, die Mädchen und die Kinder vom zwölften Lebensjahr an. Dann kamen die Käufer. Man wurde zur Arbeit ausgesucht. Dem Gendarmenwachtmeister wurde das vereinbarte Geld gezahlt, und dann zog derjenige, der gezahlt hatte, mit seiner Gruppe davon. Es kamen allerhand Leute, Bauern, Weingärtner und so weiter. Die mussten dann für unsere Verpflegung sorgen. Am Abend um 8.00 Uhr ging es wieder unter Bedeckung zurück ins Lager."

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

Der Priester Hermann Ebert aus Ober Lohma berichtet über die Lebensverhältnisse im Lager Dubi:

"Dieses Lager umfasste ungefähr 2.000 Menschen, wobei ringsum in der näheren Umgebung noch eine große Anzahl solcher Lager waren. Hier waren die Deutschen, die früher dort gewohnt haben, Beamte, Ingenieure und Direktoren der ‚Poldihütte‘ mit Frauen und Kindern interniert. Sie besaßen nur noch das, was sie am Leibe hatten: 1 Hemd, 1 Unterhose, 1 Anzug, sonst gar nichts mehr. Ferner waren im Lager Leute, die aus dem deutschen Randgebieten (Sudetengau), die man hierher verschleppt hatte. Diese wurden ganz plötzlich von zu Hause weggeholt mit der Bemerkung, sie kämen nur 3 Wochen zum Arbeitseinsatz. Sie kamen aber nie mehr zurück. In Karlsbad hatte man ganze Straßenzüge ausgehoben mit allem, was drin war: alten Leuten, Krüppeln usw. Im Lager wurde ihnen alles abgenommen, was sie hatten und ihnen nur einige alte Kleidungsstücke gelassen. (...)
Frauen und Männer waren getrennt untergebracht und durften miteinander nicht sprechen. Auch der Mann mit seiner eigenen Frau nicht. Wenn sie es taten und erwischt wurden, gab es Fußtritte oder Prügelstrafe. Überhaupt wurde die Prügelstrafe in der rohesten Weise angewendet, bei der geringfügigsten Sache, zum Beispiel Rauchen oder Lesen, was ja verboten war. (...)
Ich ersuchte den Lagerleiter, einmal im Lager Gottesdienst halten zu dürfen. Aber die Antwort war eine unflätige Schimpferei auf Kirche und Pfaffen. Nicht einmal zu Weihnachten durfte ich Gottesdienst halten. Wörtlich sagte mir der Lageleiter: ‚Die Deutschen sind für uns keine Menschen, und sie werden dementsprechend behandelt.‘ Es war mir auch verboten zu den Sterbenden zu gehen. (...)
Ungefähr im Oktober wurde dann für die Kinder eine Art Schulunterricht eingeführt, d.h. sie sollten vor allem tschechisch lernen. (...)
Ich selbst musste gleich am 2. Tag, als ich im Lager war, in die Arbeit gehen und zwar in eine Kabelfabrik. In dieser Fabrik arbeiteten ungefähr 80 deutsche Frauen und Mädchen und 20 Männer. Jeden Tag wurden wir um 5.30 Uhr hingeführt. Auf dem Hof der Fabrik mussten wir antreten. Dann kamen die tschechischen Arbeiter und Meister und suchten sich die Stückzahl aus, die sie brauchten. Wir hatten unwillkürlich alle das Empfinden, es sei wie auf einem Sklavenmarkt. Wir Deutsche mussten nur die schwersten und schmutzigsten Arbeiten verrichten."

Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2. Augsburg 1994.

Im September 1945 sandte die Ortsverwaltung von Petržalka dem Slowakischen Nationalrat ein Schreiben, in dem es heißt:

"Das Lager ist unzureichend hygienisch ausgestattet, wodurch massenweise Infektionskrankheiten ausgelöst werden. Der Mangel an Arztkräften und von Desinfektionsmitteln verursacht Epidemien, die sich nicht nur im Lager, sondern auch in der Ortschaft außerhalb des Lagers ausbreiten. Bisher hatten wir 92 Todesfälle, die durch die Epidemie ausgelöst wurden. Da sich die Situation täglich verschlechtert und täglich weitere Todesfälle zu erwarten sind, fordern wir die Auflösung des Konzentrationslagers."

Aus: de.wikipedia.org/wiki/Petr%C5%BEalka, zitiert nach Vtedy.sk (Quelle slowakisch)