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Das nationalsozialistische Deutschland hatte gegen Polen im Zweiten Weltkrieg einen rassistischen Vernichtungskampf geführt, dem nicht nur polnische Juden, sondern auch nichtjüdische Polen zum Opfer gefallen waren. Nach dem Vormarsch der Roten Armee 1944/45 entstanden in den damaligen deutschen Ostgebieten und in den ab 1939 von Hitler besetzten polnischen Gebieten zahlreiche Lager. Die ersten Lager wurden unmittelbar nach der Eroberung eines Landstrichs durch die Rote Armee eingerichtet, oft zunächst vom sowjetischen Geheimdienst NKWD. Sie wurden jedoch sehr bald in polnische Hände übergeben.
Unter Umgehung der polnischen Exilregierung in London hatte sich in Polen aus dem sogenannten Lubliner Komitee – benannt nach der ostpolnischen Stadt Lublin – eine von Stalin gestützte und abhängige kommunistische Regierung Polens gebildet. Sie wurde von den Westmächten nicht anerkannt. Diese Regierung hatte seit dem 18. Januar 1945 ihren Sitz in der polnischen Hauptstadt Warschau und war verantwortlich für das Lagersystem im bisherigen Polen und in den jetzt an Polen fallenden deutschen Ostgebieten.
Als Orte dienten Lager aus der NS-Zeit, Gefängnisse, Baracken, Kriegsgefangenenlager, evangelische Kirchengebäude und Kasernen. Die zentralen Lager wurden in Warschau, Potulitz, Jaworzno und Krzesimów bei Lublin eingerichtet.
Nach einer vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes erstellten Liste gab es in Polen einschließlich der unter polnische Verwaltung gestellten deutschen Ostgebiete 1.255 Haupt- und Nebenlager unterschiedlichster Größe, dazu 227 Haftanstalten.
Die Zahl der in Lagern inhaftierten Deutschen sowie der dort Verstorbenen wird von Historikern unterschiedlich angegeben und lässt sich auf Grund fehlender Dokumentationen und lückenhaften Quellen nicht belastbar ermitteln. Die meisten Deutschen wurden allein wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit in Lager gesteckt. Sie wurden von sowjetischen Kommandos oder polnischen Einheiten auf den Straßen eingesammelt, über Aufrufe zum Einfinden auf bestimmten Plätzen aufgefordert und von Sicherheitsdienten abgeholt. Sie kamen in provisorische Lager, wurden dort teilweise verhört, misshandelt und mussten ihre Wertsachen, teilweise auch Kleidung und Schuhe abgeben, bevor sie in der Regel mit der Eisenbahn zum nächsten Bestimmungsort transportiert wurden oder zu Fuß dorthinlaufen mussten. Von dort aus wurden sie entweder in größerer Anzahl, in Sammeltransporten vertrieben oder zur Zwangsarbeit in weitere Lager transportiert oder von sowjetischen NKWD-Einheiten zur Deportation nach Russland bestimmt.
Die Sicherheitsdienste, Lagerleitung und das Wachpersonal bestanden oft aus Personen, deren Angehörige von Deutschen ermordet worden waren. Die Deutschen waren dadurch auch gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Viele verhungerten, erfroren, starben vor Erschöpfung oder aufgrund der Misshandlungen.
Im oberschlesischen Industrierevier wurden Lager u.a. unmittelbar an den Gruben eingerichtet, um die Kohleförderung aufrechtzuerhalten. Sie erhielten die Namen der Kohlegruben. Die Internierten wurden morgens zu ihren Arbeitsplätzen untertage geführt und abends wieder zurückgebracht. Wie in anderen Ländern mussten Deutsche beim Beseitigen der Kriegszerstörungen und Wiederaufbau der Infrastruktur, aber auch in der Landwirtschaft arbeiten.
"In Zempelburg befand sich auf dem Marktplatz unsere evangelische Kirche, mit ihr ist das Leben meiner Eltern und das meinige sehr eng verknüpft. Meine Eltern sind darin getraut, meine Geschwister alle getauft und konfirmiert worden. Ich kann heute daran nur mit Grauen denken, denn es war unser Gefängnis. In ihr wurden wir streng bewacht und gefangen gehalten. Rausgeholt wurden wir, um von der Soldateska vergewaltigt und geschändet zu werden. (...)
Das einstige Gotteshaus wurde unser KZ. Und ein großes Klosett.
Die Schreckenstage näher zu beschreiben, möchte ich mir ersparen. Das bisher Gesagte mag genügen. Geschriebene Worte können niemals das wiedergeben, was man erlebt hat."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
"Polen hatte im Krieg etwa 6,03 Millionen Menschen verloren:
3,4 Millionen polnische Juden waren in den Gaskammern umgekommen, 640.000 Soldaten auf den Kriegsschauplätzen gefallen.
Von 108 Familien hatten 100 zumindest ein Familienmitglied im Krieg verloren, eine halbe Million hatte der Krieg zum Krüppel gemacht, zwei Millionen waren zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich geschickt worden. Dem Land fehlte jeder dritte Hochschullehrer, jeder vierte Priester, jeder fünfte Lehrer. Es war also nicht verwunderlich, wenn der Wunsch nach Revanche beim einfachen Menschen bei Kriegsende verbreitet war, zumal er von der neuen prokommunistischen Regierung gedeckt war. (...) Als Reaktion auf solche Gewalterfahrungen entstand neue Gewalt, aus Gepeinigten wurden Peiniger. Über 100.000 deutsche Zivilisten, mehrheitlich Frauen, Kinder und Alte, waren zwischen 1944 und 1950 in polnischen Lagern interniert, Zehntausende kamen um."
Aus: Hirsch, Helga: Die Rache der Opfer. Deutsche in polnischen Lagern 1944-1950. Berlin 1998.
"Im Juni 1945 – wir waren in der Heuernte – bekamen wir Sonntag Mittag um 10.00 Uhr den Befehl, dass sämtliche Dorfbewohner mit 30 Kilo Gepäck fertig zum Auszug sein müssten. Auf Befragen bei der russischen Kommandantur zuckten sie mit den Achseln und meinten, sie hätten keinen Befehl die Austreibung den Polen zu verbieten."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
"Wir trafen nachmittags ein, wurden zum Gefängnis abtransportiert, standen stundenlang bis in die tiefe Nacht auf dem Gefängnishof herum. Den Müttern wurden ihre Kinder vom Säugling bis zum Alter von 14 Jahren weggenommen. Wieso und warum wusste niemand von uns. Es spielten sich verzweifelte Szenen ab, Kinder klammerten sich schreiend an ihre Mütter, die schreckerstarrt und Tränen überströmt standen und sich im Übermaß der Aufregungen und des Schmerzes auf den Boden warfen. In der Nacht wurden die Kinder fortgebracht, die Erwachsenen kamen ins Barackenlager, in dem sie in der Dunkelheit über die Körper vieler eng zusammenliegender Menschen stolperten, ein gespenstiger Eindruck. In diesem Lager lagen wir im engsten Raum ohne Tätigkeit wochenlang auf dem Fußboden herum. Es gab keine Sitzgelegenheit, keine größere Bewegungsmöglichkeit. Außen war ein schmaler Streifen mit Stacheldraht umzäunt, der bedeckt war von dem Auswurf so vieler Menschen. Diese Lagerzeit in Kulm war zu Ende, als wir zum „Ressort“ (das war die Geheime Polnische Staatspolizei) abgeführt wurden.
Täglich geschahen diese Abführungen, täglich kamen neue Gefangene in unser Durchgangslager. Vor dem „Ressort“ hatten wir eine panische Angst. Es hatte sich herumgesprochen, was uns da bevorstand. Allein die Tatsache, dass wir Deutsche waren, genügte, uns zu misshandeln. Viele kamen blutig geschlagen vom „Ressort“. Im „Ressort“ saßen junge Menschen im Alter von 20 bis 25 Jahren etwa. Wir mussten dort unsere Ausweise abgeben und wurden registriert. Als ich das Zimmer betrat, noch bevor ich nach meinen Personalien gefragt wurde, versetzte mir ein junger Mann ein paar Schläge ins Gesicht, ein anderer trat mich von hinten, der Gummiknüppel flog an meinen Kopf, ich wurde am Hals gepackt, über einen Stuhl gebeugt zum Durchprügeln. Andere Frauen wurden durch den Raum geschleudert, fielen auf den Fußboden, wurden mit Füßen getreten. Andere wurden mit dem Kopf an die Wand gestoßen, zehnmal, zwanzigmal. Ich betone, es handelte sich um Frauen, von denen man nicht wusste, wer sie waren, wie sie hießen, allein die Tatsache des Deutschtums führte zu diesen Misshandlungen. Mit kranken und behinderten alten Menschen wurde kurzer Prozess gemacht. Man stieß sie in einen besonderen Raum, aus dem sie nie mehr zum Vorschein kamen. Wir haben sie nie mehr gesehen, und niemand weiß, wo sie geblieben sind."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
Herr K. K. berichtet über das Lager Grottkau in Oberschlesien:
"An jedem Morgen um 5.00 Uhr im Sommer und um 6.00 Uhr im Winter ertönte die Lagerglocke und weckte zum Aufstehen. Die Blockleiter liefen durch ihre Blocks und mahnten dazu mit lauter Stimme.
Jeder Gesunde beeilte sich, ein karges Frühstück herzurichten, um dann auf dem Weg vor dem Tor anzutreten. Es erschien nun ein Vertreter des polnischen Arbeitsamtes und suchte die nötigen Arbeiter aus. Zuerst verließen die Sonderkommandos das Lager. Solche waren:
Gas- und Wasserwerk, Waldarbeiter, Arbeiter in den verschiedenen Küchen einzelner polnischer Körperschaften wie Stadt und Kreismiliz, Magistratsküche, Küche der Geheimen Polnischen Staatspolizei. Einzelne polnische Persönlichkeiten verlangten Deutsche, meist Frauen zur Erledigung der häuslichen Arbeiten. Diese alle verließen früh zuerst das Lager und gingen an ihre Arbeit.
Es folgte nun der Hauptteil, etwa 350 bis 400 Personen, die geschlossen in die Stadt geführt wurden. Vornweg gingen polnische Aufsichtführende mit Gummiknüppeln durch die Lagerräume und jagten alle Personen zur Arbeit, von denen sie annahmen, dass sie arbeitsfähig waren.
So verließ denn jeden Morgen eine große Schar das Lager, unterwegs oft von Polen verlacht. Nicht selten kam es vor, dass Polen am Fenster standen und ihre Freude an dem traurigen Zug zum Ausdruck brachten. Dieser Zug musste in der Hauptsache die schweren Straßenarbeiten erledigen. Die Frauen mussten aus Ruten Besen binden und die Straßen kehren. Später mussten sie den Schmutz von den Straßen entfernen. Immer 15 bis 20 Frauen zogen einen großen Wagen, den sie vorher mit Schutt beladen hatten, zur Stadt hinaus. Dann luden sie den Schutt in die Gräben."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
"Der denkwürdiger 15. Dezember (1945) begann zunächst wie alle anderen. Es schwebten allerlei Gerüchte in der Luft. Glaubhaft war wohl dieses, dass in den nächsten Tagen eine große Haussuchung stattfinden sollte und wie üblich viel geplündert werden würde.
Am Mittwoch, dem 15. Dezember wurden sämtliche Polen ins Dorf geholt, sämtlich bewaffnet. (...) Mittags begann dann auch die Austreibung der Ersten aus unserem Ort. Den Ersten wurde noch 20 Minuten Zeit gegeben zum Packen. Das dauerte den ganzen Nachmittag bis abends um 8.00 Uhr. Die Letzten mussten schon in einer Minute das Haus verlassen. Auf Alte und Kranke wurde keine Rücksicht genommen. Zuerst wurden wir alle in die Kirche getrieben. Dort haben wir dann erst mal eine Nacht zu gebracht. Uns alle beschäftigte nun die Frage, was hat man wohl mit uns vor? Sonntags vormittags wurde uns dann klargemacht, dass wir keine Vergnügungsfahrt antreten werden, sondern büßen sollten, was die SS verschuldet hat. (...) Nachmittags um drei hieß es dann plötzlich, alle vor die Kirche antreten. Nun traten die Russen an unsere Reihen und suchten sich noch die Arbeitskräfte heraus."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
Die Lebensumstände in den polnischen Arbeits- und Internierungslagern waren von Vergeltungsakten der Lagerverwaltung geprägt. Willkür und Gewalt herrschte in den Lagern. Die deutschen Lagerinsassen wurden nicht nur gedemütigt, sondern regelrecht misshandelt, geschlagen, zum Teil gefoltert und ermordet. Gummiknüppel und Gewehrkolben wurden eingesetzt, um die Menschen zu drangsalieren. Alle Wertsachen, teilweise Kleidung und mitgebrachte Nahrung mussten abgeben werden. Die hygienischen Zustände und die Unterbringung waren in allen Lagern katastrophal. Die Menschen litten unter Hunger, Krankheiten, Seuchen und Ungeziefer. Eine medizinische Versorgung wurde den Betroffenen in den seltensten Fällen zuteil, Medikamente gab es nicht. Mütter wurden von ihren Kindern getrennt, die alten, nicht arbeitsfähigen Menschen in besonderen Baracken sich selbst überlassen. In den meisten Lagern wurden die Insassen zur Arbeit gezwungen, in einigen vegetierten die Menschen dahin, bis sie den Misshandlungen ihrer Peiniger erlagen. Die Zwangsarbeit erfolgte meist außerhalb der Lager. Die Insassen wurden an Betriebe ausgeliehen. Die Lagerleitung bekam dafür mancherorts Lohn. Sie wurden eingesetzt im Straßen- und Wohnungsbau, zu Aufräumarbeiten und Instandsetzung von Industriewerken, vor allem aber zu Arbeiten in der Landwirtschaft. Der Arbeitseinsatz erfolgte auch bei der Demontage von Industrieanlagen und deren Verladung in die Sowjetunion.
In den meisten Lagern durften die Insassen keine Briefe schreiben oder empfangen, so dass die Angehörigen keine Informationen erhielten, ob die Internierten noch am Leben waren. Umgekehrt wussten die Insassen nicht, ob ihre Familien noch in ihrer Heimat lebten oder vertrieben worden waren.
Erst im Herbst 1947 konnte eine Schweizer Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mehrere Tage lang polnische Lager mit deutschen Insassen besuchen. Obwohl das polnische Ministerium für Staatssicherheit bemüht war, den Delegierten positive oder erträgliche Lebensumstände der Insassen vorzuführen, sind im Abschlussbericht die oft katastrophalen Zustände deutlich benannt: Die Gefangenen litten unter permanentem Hunger, ihr Gesundheitszustand sei erschreckend, die Krankenstuben seien wegen Infektionen, Hautkrankheiten, Entzündungen und Geschwülsten völlig überfüllt.
Einige Lager bestanden nur wenige Wochen oder Monate und wurden bereits 1946 geschlossen, andere bestanden bis in die 1950er Jahre. Die Lagerinsassen wurden teilweise in andere Lager verlegt, in die deutschen Besatzungszonen vertrieben oder Verifizierungsverfahren unterzogen, um als „Polen“ eingestuft zu werden. Einige hunderttausend Deutsche verblieben im Land. Sie unterlagen der Enteignung und der systembedingten Entrechtung und durften Jahrzehnte ihre Identität nicht leben. Über mehrere Jahrzehnte verteilt, verließen bis in die 1990er Jahre rund 1,5 Millionen Deutsche und ihre Angehörigen Polen und fanden in der Bundesrepublik Aufnahme.
"Gegen Ende des Jahres 1948 wurde plötzlich der Aufenthalt im Lager spürbar erträglicher: Die Brotscheiben waren dicker, in der Suppe schwammen sogar kleine Fleischbröckchen und die kleinen Kinder bekamen Eipulver. Sogar die grausamen Bestrafungen nahmen auch ab. Die Wohltaten hatten wir einer schwedischen Kommission zu verdanken, die zu Besichtigung des Lagers kam. Meine Mutter äußerte sich später manchmal, dass wir den Schweden damals vieles zu verdanken hätten, die mit ihrer Unterstützung zum Beispiel mit Lebertran manches Leben retteten. Sie wollten sich davon überzeugen, dass ihre Hilfs-Pakete und die der Amerikaner auch uns zugute kamen."
Aus: Kasper, Brigitte: Tage der Vergangenheit. Kassel 2012.
"Jeden Abend kamen russische Soldaten und holten sich die jungen Mädchen und Frauen heraus, um sie zu missbrauchen. Ich habe das selbst unzählige Male beobachtet. Eine Mutter, die ihre Tochter schützen wollte, musste zusammen mit dieser – es war noch Winter – barfuß und im Hemd um die Baracke laufen und wurde furchtbar verprügelt.
Am 6. August (1945) wurden alle Kinder im Alter von ein bis sechs Jahren ihren Müttern fortgenommen und in die Kinderlager gesteckt, es gab ein großes Weinen und Wehklagen, dass es zum Herzzerbrechen war. Nach sechs Wochen konnten sich die Mütter zwar ihre Kinder wieder abholen, doch war ein großer Teil der Kinder inzwischen an mangelhafter Ernährung und schlechter Behandlung gestorben, oder sie waren völlig verlaust und mit Krätze bedeckt."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
"Im Oktober 1945 mussten wir in der dortigen Gegend Leichen ausgraben gehen, die schon seit 1939 in der Erde waren. Ein schrecklicher Tag war der 15. Oktober 1945 für uns, denn da lud man die Zivilbevölkerung ein, damit sie uns steinigen sollten. Die Polen beschimpften und verhöhnten uns, wie sie es nur konnten. Dann mussten wir die Schädel im See waschen. Es war eine grausame Arbeit für uns."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
"Im November (1948) kamen 65 Frauen in die Gänsemastanstalt, darunter bin ich gewesen. Ich habe vergessen, wie der Ort heißt. Wir wurden in einer Baracke mit vier Räumen untergebracht und mussten um 4.00 Uhr aufstehen, selten um 4.30 Uhr, den Kaffee und das Brot im Stehen einnehmen. Dann kam ein Beamter; wir mussten uns zu vier Frauen in die Reihe stellen und eine Stunde marschieren, eine Kälte und eine Glätte! Wenn wir nicht so schnell laufen konnten und etwas zurückblieben, kam er mit dem Knüppel und schlug drauflos. Da meine Schuhe inzwischen abgerissen waren, bekam ich ein paar abgeschnittene Gummistiefel, Größe ungefähr 45, ich habe 38 bis 39 Schuhgröße. Ich musste mir so viel Lumpen umwickeln, damit ich sie nicht verlor. Inzwischen platzten sie am Spann auf, und ich musste sie mit Bindfaden ringsherum festbinden."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
Der polnische Historiker Bogusław Kopka fasst aus unterschiedlichen Quellen die Zahlen zu den deutschen Opfern in polnischen Lagern zusammen und schätzt:
Gesamtzahl Menschen in Lagern: etwa 300.000
Darunter deutsche Kriegsgefangene: 50.000
Tote: etwa 25.000
Aus: Kopka, Bogusław, in Adam Dziurok, Piotr Madajczyk, Sebastian Rosenbaum (Hrsg.):
Die deutsche Minderheit in Polen und die kommunistischen Behörden 1945-1989, Deutsche und Polen in den Arbeitslagern des Ressorts für Öffentliche Sicherheit in Polen 1945 bis 1954: Terror und Arbeit. Paderborn 2017.
Brigitte Kasper wurde zusammen mit ihrer Mutter und fünf älteren Geschwistern interniert:
"Wenn die Bauern aus dieser Gegend Arbeitskräfte brauchten, kamen sie morgens ins Lager und suchten sich Gefangene aus, nahmen sie mit und brachten sie abends wieder in das Lager zurück. Den Lohn für die Arbeit bekam der polnische Gutsverwalter. Genauso holten sie sich auch Frauen. Waldemar erinnert sich: ‚In diesen ersten Gütern oder Lagern wurden die Frauen und Mädchen häufig vergewaltigt. Sie wurden abends aus dem Gut verschleppt und kamen erst bei Anbruch des neuen Tages zurück, verändert und verschreckt. Einige irrten herum, weinten und schrien, manche nahmen sich das Leben. Die Kinder haben da auch einiges mitgekriegt."
Aus: Kasper, Brigitte: Tage der Vergangenheit. Kassel 2012.
"Die Flüchtlinge lagen im Stettiner Lager, immer in Erwartung ihres Weitertransportes, in völlig überfüllten Räumen, die nur notdürftig heizbar waren, bei dauernder starker Kälte und ganz unzureichender Verpflegung und sehr trüben sanitären Verhältnissen: eine einzige Wasserentnahmestelle für 4.000 Menschen, schlechte Latrinenverhältnisse, mangelnde Medikamente usw. Unter diesen traurigen Umständen sind in dem einen Monat bis zum 7. Februar an den Folgen des Transportes bei der grausigen Kälte, der Unterernährung und den sonstigen Lagerkrankheiten etwa 200 Personen gestorben.
Inzwischen war durch die britische Militärregierung die Durchführung weiterer Transporte wegen der großen Kälte gesperrt worden. Trotzdem wurde durch die Polen am 7. Februar – wieder bei grimmiger Kälte – etwa die Hälfte der Lagerinsassen des Lagers Stettin-Frauendorf, im Ganzen etwa 1.700 Personen, zu einem Transport zusammengestellt und etwa100 Kilometer nach Osten in das Flüchtlings-Durchgangslager der mittelpommerschen Stadt Schievelbein gebracht.
Die Abfahrt erfolgte am 7. Februar nachmittags, die Ankunft in Schievelbein etwa um Mitternacht. Die Waggons konnten nicht beheizt werden, da wohl kleine eiserne Öfen und Kohlen, aber kein Anmachholz in den Waggons vorhanden war, so dass die Steinkohlen nicht in Glut zu bekommen waren.
Als wir um Mitternacht auf dem Bahnhof in Schievelbein ankamen, herrschten 22 bis 25 Grad Kälte. Die Menschen wurden sofort nach der Ankunft von der Miliz aus den Waggons gejagt, obwohl der Zug nachher bis zum Morgen auf dem Gleis stehen blieb. Es zeigte sich bald, dass seitens der Leitung des Lagers Schievelbein keinerlei Vorkehrungen für den Empfang des Transportes getroffen waren, denn diese war, wie mir der Lagerleiter später persönlich sagte, überhaupt nicht von unserem Eintreffen in dieser Nacht benachrichtigt worden. Die vielen alten und kranken Leute, die nicht allein gehen und ihr umfangreiches Flüchtlingsgepäck die drei Kilometer bis zum Lager schleppen konnten, blieben einfach auf dem Bahnsteig liegen und waren der grausigen Kälte schutzlos ausgesetzt."
Aus: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.): Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Band 2. Augsburg 1993.
Der polnische Historiker Sebastian Rosenbaum hat Forschungen zu den polnischen Lagern für Deutsche und ihren Kommandanten unternommen. Von Czesław Gęborski, dem Kommandanten von Lamsdorf, ist der Ausspruch überliefert: „Wir werden ein solches Lager für euch machen, wie die Deutschen es für die Polen gemacht haben.“
Salomon Morel, dem Kommandanten des Lagers Zgoda in Schwientochlowitz, wird die Idee einer ausgefallenen Foltermethode zugeschrieben. Er habe vier Häftlingen befohlen, sich auf den Boden zu legen. Auf ihnen hätten sich immer weitere kreuz und quer hinlegen müssen, bis eine Höhe von etwa zwei Metern erreicht worden sei. Dabei seien alle Häftlinge geschlagen worden. Für diejenigen, die unten gelegen hätten, sei die Folter tödlich mit Erstickung oder zumindest mit Quetschungen geendet.
Bei der Auflösung des Lagers Zgoda wurden nach Rosenbaums Recherchen Tonnen von Mehl, Zucker, Kartoffeln und andere Lebensmittel sichergestellt. Dabei ist belegt, dass die Häftlinge vor Hunger versuchten, Gras zu essen. Lebensmittel, welche den Insassen von Verwandten gebracht wurden, beschlagnahmten die Wachen und verwendeten sie für sich selbst oder verkauften sie weiter.
Die Sterblichkeitsrate im Lager Zgoda war hoch. Von Februar bis November 1945 starben von über 5.000 Inhaftierten mindestens 1.855 Menschen, deren Namen überliefert sind. In einem anderen polnischen Lager von ähnlicher Größe, in Myslowitz, starben im Jahr 1945 etwa 2.200 Personen. In dem schlesischen Lager Tost starben binnen weniger Monate schätzungsweise 2.000 bis 3.000 Menschen.
In den Nachkriegsjahren konnten sich Deutsche in Polen einem sog. Verifizierungsverfahren unterziehen und dadurch der Vertreibung entgehen. Dafür mussten sie einen entsprechenden Antrag stellen, ihre polnische Abstammung beweisen oder ihre Verbundenheit mit dem polnischen Volk nachweisen und eine Treueerklärung gegenüber dem polnischen Volk und dem polnischen Staat abgeben.
Westlich der polnischen Großstadt Bromberg/Bydgoszcz lag von 1945 bis 1950 das Zentrale Arbeitslager Potulitz/Centralny Obóz Pracy w Potulicach. Vom 1. Februar 1941 bis Januar 1945 hatte sich hier ein deutsches Durchgangs- und Zwangsarbeitslager befunden. Insassen waren vorrangig Polen, deren Häuser und Höfe ab 1939 vom NS-Regime enteignet worden waren, um dort Deutsche, etwa aus dem Baltikum, anzusiedeln. Viele Polen im Lager wurden danach in das Generalgouvernement vertrieben, jenem südöstlichen Gebiet Polens, das 1939 nicht an das Deutsche Reich angegliedert, sondern der NS-Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik unterstellt worden war. Schätzungsweise 25.000 Polen durchliefen das Lager, mindestens 1.291 kamen dabei ums Leben.
1945 wurde Potulitz durch die sowjetische und die polnische Geheimpolizei in ein Lager für zivile Volksdeutsche, Reichsdeutsche und einige antikommunistisch eingestellte Polen umgewandelt. Es bestand bis 1950. Da es der polnischen „Umsiedlerzentrale“ in Danzig/Gdańsk unterstand, vermutet man, dass die Vertreibung der im Lager Internierten in die verbliebenen Gebiete Deutschlands geplant war. Für 1,5 Złoty pro Tag konnten sich polnische Staatsgüter, Landwirte, Handwerksbetriebe oder Fabriken deutsche Arbeitskräfte „ausleihen“. Die meisten Zwangsarbeiter arbeiteten in der Landwirtschaft. Mehr als zehn Prozent der Lagerhäftlinge kamen ums Leben. Sie starben durch Infektionskrankheiten oder an den Folgen von Unterernährung und körperlicher Schwerstarbeit. Manche nahmen sich aus Verzweiflung das Leben. Die Leichen wurden in der Nähe in Massengräber geworfen und zugeschüttet. Im Lager waren auch Kinder unter 12 Jahren, sowohl mit Müttern, als auch Waisen inhaftiert.
Das Lager Zgoda/Obóz Zgoda war vorrangig ein Arbeitslager für deutsche Zivilisten im Stadtteil Zgoda der oberschlesischen Stadt Schwientochlowitz/Świętochłowice.
Es handelte sich dabei um das ehemalige deutsche KZ Eintrachthütte, das in der Zeit vom 26. Mai 1943 bis 23. Januar 1945 ein Außenlager des KZ Auschwitz war. Anschließend wurde es von sowjetischen Streitkräften besetzt und in Zgoda umbenannt. Zwischen Februar und November 1945 war es der polnischen Geheimpolizei unterstellt. Im November 1945 wurde es aufgelöst. Lagerkommandant war Salomon Morel, ein Mitglied der polnischen, kommunistischen Untergrundarmee „Armia Ludowa“ (Volksarmee). Morel war Jude, seine gesamte Familie war von den Nationalsozialisten umgebracht worden. Im Lager befanden sich sowohl Reichsdeutsche aus den deutschen Ostgebieten als auch Volksdeutsche aus Polen.
Von 1945 bis 1949 befand sich auf dem ehemaligen Gelände des vormaligen NS-Arbeitslagers Neu-Dachs das Zentrale Arbeitslager Jaworzno/Centralny Obóz Pracy w Jaworznie. Während der NS-Herrschaft diente es als Arbeitslager für Polen und Juden, die von hier aus auch nach Auschwitz deportiert wurden, wo sie ermordet wurden. Im Februar 1945 wurde das Lager zunächst vom sowjetischen Sicherheitsdienst NKWD in Besitz genommen, und dann vom polnischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit übernommen und in das Zentrale Arbeitslager Jaworzno umbenannt. Dabei wurde die Inschrift über dem Tor „Arbeit macht frei“ durch „Praca uszlachetnia człowieka“ („Arbeit adelt den Menschen“) ersetzt. Kommandant war 1949 kurzzeitig Salomon Morel, der zuvor das Lager Zgoda in Schwientochlowitz/Świętochłowice geleitet hatte.
Das Lager Sikawa befand sich auf dem Gelände des „Arbeitserziehungslagers Litzmannstadt“, das zwischen 1943 und Anfang 1945 von der Gestapo als Zwangsarbeitslager vorrangig für polnische, aber auch ukrainische und weißrussische Zivilisten sowie für sowjetische Kriegsgefangene eingerichtet worden war. In der NS-Zeit durchliefen mindestens 2.500 vorwiegend polnische Zwangsarbeiter das Lager. Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1945 und der Befreiung der Häftlinge wurde das Lager vom sowjetischen Sicherheitsdienst NKWD als Sammelplatz für Deutsche der Stadt und Umgebung umgewandelt. Im Frühjahr 1945 wurden Deutsche beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen in das Lager eingeliefert. Viele wurden unverzüglich zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Mütter mussten kleine Kinder abgeben, die man in Waisenhäuser gab, um sie zu polonisieren. Die arbeitsfähigen Lagerinsassen wurden als Einzelpersonen oder als Kolonnen zu Zwangsarbeit in der Stadt und der Umgebung herangezogen. Die Arbeitgeber hatten eine „Leihgebühr“ für die Zwangsarbeiter an die Lagerverwaltung von 8 Złoty zu entrichten.
Das Lager Lamsdorf/Łambinowice lag im gleichnamigen Dorf zirka 30 Kilometer südwestlich von Oppeln im Kreis Falkenberg in Oberschlesien. Es wurde 1870/71, in der Zeit des deutsch-französischen Krieges, errichtet und diente auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangenenlager. Im Zweiten Weltkrieg waren dort 300.000 bis 400.000 Kriegsgefangene, meist Russen und Briten, inhaftiert. Ein polnisches Mahnmal erinnert an 42.000 Tote.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde es zum Lager für deutsche Zivilisten. Am 18. Juni 1945 erging eine Anordnung, die deutsche Bevölkerung aus ihren Häusern zu treiben und sie aus den Gebieten Schlesiens zu entfernen. Deutsche aus der Umgebung von Lamsdorf wurden in das Lager getrieben. Einzig die deutsche Nationalität war das Kriterium für die Inhaftierung. Bei der Ankunft im Lager mussten die Menschen alles abgeben: Papiere, Wertsachen, teilweise ihre Kleidung. Sie wurden in Baracken verteilt. Das Wachpersonal war willkürlich zusammengestellt und bekam keinen Lohn. Die meisten Insassen waren Frauen, Kinder und alte Menschen. Sie wurden misshandelt und viele ermordet. Überlebende wurden nach ihrer Freilassung direkt nach Deutschland vertrieben, einige verblieben in Oberschlesien.
Der erste und berüchtigtste Lagerkommandant war Czesław Gęborski, ein 20-jähriger Miliz-Feldwebel. Er war nur knapp drei Monate Lagerleiter, auf ihn folgten bis zur Auflösung des Lagers im Oktober 1946 weitere Kommandanten. Gęborski stand in Polen aufgrund seiner Willkür und Brutalität während seiner Zeit als Lagerleiter mehrmals vor Gericht, wurde aber nie verurteilt. 1958 wurde ihm Mord in 71 Fällen, darunter auch an Kindern, zur Last gelegt. Auf Druck der Warschauer Regierung wurde er jedoch freigesprochen. Im Jahre 2000 wurde ihm im Zusammenhang mit einem Barackenbrand 48-facher Mord an Lagerinsassen vorgeworfen. Das Verfahren musste auf Grund seines Todes 2006 eingestellt werden.
Seit 1964 befindet sich auf dem ehemaligen Gelände in Łambinowice ein Kriegsgefangenenmuseum. 1991 hatte die Gemeinde ein großes Holzkreuz an jenem Ort aufgestellt, wo Massengräber vermutet wurden. Unbekannte zündeten das Mahnmal wenig später an. Ein 1995 verankerter Granitgedenkstein wurde von Unbekannten herausgerissen. Im Jahr 2000 wurden die Massengräber geöffnet und 2002 ein Friedhof eingerichtet.